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Leseproben
Hörproben ab 2010
Textauszug "Die Frauen der Familie Nebelsiek"Seite 6
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Das alte Dienstmädchen öffnete der jungen Frau die Tür des Elternhauses so ruhig, als sei kein Jahr, sondern eine Stunde verflossen, seitdem sie hier Abschied nahm. Alle Räume stehen bereit zum Empfange; in die offenen Fenster dringt bescheiden der Hauch des blühenden Holunder. So muß es sein, daß Ande wie in einem Traume, der alljährlich wiederkehrt, die Treppe hinauf in ihre Stube schreitet, daß sie beklommen vor dem Fenster steht, wie erschrocken vor sich selber — und von der großen Leere der Fläche, die ihr das Fenster zeigt. — Gütiger Himmel, gütige Erde, daß jetzt kein Vogelruf und kein Unkenton die heilige Ruhe der Felder weckt! Stille, stille, daß kein Herzenslaut den Frieden in Andes Stube stört! Wie mag es kommen, daß Gustav Lenharts, ihres Mannes Stimme, in ihren Ohren braust? Ist es sein zurückgebliebenes Wort, das jede Ruhe vernichtet? Es nistet in den Mauern, höhnt aus Ecken und Winkeln: "Das ist Dein Unglück, Ande Nebelsiek, deshalb bist du kalt und stumm und unversöhnlich, weil Du von den öden Feldern kommst!"

Da erhob sich Ande Lenhart in ihrer Mädchenstube, warf den seidenen Reisemantel ab, nahm ein schwarzes Lüsterschürzchen aus dem Kasten und einen schlichten Hut. So ausgerüstet schritt sie vor das zweite Fenster. "Wie herrlich, wie einzig schön," sagte sie dort heftig.

Auf der Fläche erhob sich still, stark und dunkel der Fichtenbaum. Formlos in seiner Fülle, dehnte sich das Gebüsch der wilden Rose zu des Baumes Füßen am Wege so dahin.

Wieder vernahm die junge Frau ein Lachen, das hier vor diesem Fenster einst geklungen und längst verhallt war, Gustav Lenharts Spottlachen. Sie ballte die Hände und sah sehr häßlich aus. Von der Ebene aber surrte und sauste es um sie her, das Echeo eines Wortes. "Oh wie elend wurdest Du, Ande Nebelsiek, weil Barinken Deine Heimat ist."

Sie preßte die Hände vor die Ohren — stand taub und stumm — dann lief sie mit festen Schritten hinab...

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