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Das alte Dienstmädchen öffnete der jungen Frau die Tür des Elternhauses so ruhig, als sei kein Jahr, sondern eine Stunde
verflossen, seitdem sie hier Abschied nahm. Alle Räume stehen bereit zum Empfange; in die offenen Fenster dringt
bescheiden der Hauch des blühenden Holunder. So muß es sein, daß Ande wie in einem Traume, der alljährlich
wiederkehrt, die Treppe hinauf in ihre Stube schreitet, daß sie beklommen vor dem Fenster steht, wie erschrocken vor
sich selber — und von der großen Leere der Fläche, die ihr das Fenster zeigt. — Gütiger Himmel, gütige Erde, daß jetzt
kein Vogelruf und kein Unkenton die heilige Ruhe der Felder weckt! Stille, stille, daß kein Herzenslaut den Frieden in
Andes Stube stört! Wie mag es kommen, daß Gustav Lenharts, ihres Mannes Stimme, in ihren Ohren braust? Ist es sein
zurückgebliebenes Wort, das jede Ruhe vernichtet? Es nistet in den Mauern, höhnt aus Ecken und Winkeln: "Das ist
Dein Unglück, Ande Nebelsiek, deshalb bist du kalt und stumm und unversöhnlich, weil Du von den öden Feldern kommst!"
Da erhob sich Ande Lenhart in ihrer Mädchenstube, warf den seidenen Reisemantel ab, nahm ein schwarzes Lüsterschürzchen
aus dem Kasten und einen schlichten Hut. So ausgerüstet schritt sie vor das zweite Fenster. "Wie herrlich, wie einzig
schön," sagte sie dort heftig.
Auf der Fläche erhob sich still, stark und dunkel der Fichtenbaum. Formlos in seiner Fülle, dehnte sich das Gebüsch der
wilden Rose zu des Baumes Füßen am Wege so dahin.
Wieder vernahm die junge Frau ein Lachen, das hier vor diesem Fenster einst geklungen und längst verhallt war, Gustav
Lenharts Spottlachen. Sie ballte die Hände und sah sehr häßlich aus. Von der Ebene aber surrte und sauste es um sie her,
das Echeo eines Wortes. "Oh wie elend wurdest Du, Ande Nebelsiek, weil Barinken Deine Heimat ist."
Sie preßte die Hände vor die Ohren — stand taub und stumm — dann lief sie mit festen Schritten hinab...
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